BUSINESS | 12.12.2022
AUF DEN HUND GEKOMMEN: CHIENGORA® REVOLUTIONIERT TEXTILBRANCHE
VON REDAKTION
Mit ihrem Garn aus Hundewolle – dem sogenannten Chiengora® – wollen Ann Cathrin Schönrock und Franziska Uhl von YarnSustain die Textilbranche revolutionieren. Im Interview verraten die beiden wie es dazu kam.
ANN CATHRIN, DU HAST DICH IN DIE HÖHLE GETRAUT – WIE WAR DIESE ERFAHRUNG FÜR DICH?
Ann Cathrin: Es war auf jeden Fall eine Erfahrung, an der ich gewachsen bin. Outside of the Comfort Zone ist ja für gewöhnlich der Ort, "where the magic happens" und so war es auch. Die intensive Vorbereitung, alle Zahlen des Unternehmens genau zu kennen und das Feedback der Investor:innen war vielseitig und motivierend weiter zu machen.
CHIENGORA® – WAS BEDEUTET DAS ÜBERHAUPT?
Ann Cathrin: Mit der Marke Chiengora® stehen wir für sehr hohe Qualität im Garn aus Hundefasern und wollen damit einen internationalen Standard für Garne aus Haustierfasesrn setzen.
Es ist ein Lehn-Mischwwort, angelehnt an zwei andere Bedeutungen. "Le chien" ist "der Hund" auf Französisch. Das Suffix -gora solla an die Haptik von Angora erinnern, denn je höher der Anteil an Fasern von Hunden, desto flauschiger das Garn. Mir war sofort klar, dass wir einen neuen Begriff benötigen, um nicht mit "Hundewolle" leider falsche, dennoch naheliegende Assoziationen zu wecken.
WIE BIST DU AUF DIE IDEE FÜR CHIENGORA® GEKOMMEN?
Ann Cathrin: Durch meine Erfahrungen in der textilen Lieferkette kenne ich ihre Probleme und Herausforderungen. Sowohl in meiner eigenen Arbeit als Mode- und Strickdesignerin als auch in der Arbeit und Beratung mit anderen Modelabels, fehlte immer eines: authentisch nachhaltiges Garn, mit dem gearbeitet werden kann. Als ich gemeinsam mit meiner Mutter ihre Hunde ausgekämmt habe, fiel mit die große Menge an Fasern auf, die dabei in den Bürsten hängen bleiben. Ich habe dann mit Strickereien in Deutschland erste Prototypen entwickelt, später unter meinem eigenen Label Handstrickgarne produzieren lassen und erfolgreich verkauft.
Ich hätte die Brand weiter ausbauen können, eigene Kleidung machen können, aber ein eigenens Label war mir nicht genug im Verhältnis zu dem Potential, was in diesem Rohstoff liegt. Ich wollte die Industrie an sich verändern, einen nachhaltigen als auch langfristigen Einfluss nehmen.
DU HAST DIR DANN DIE TEXTILINGENIEURIN FRANZISKA UHL INS BOOT GEHOLT UND GEMEINSAM HABT IHR EUER UNTERNEHMEN GEGRÜNDET – WIE HABT IHR ZUEINANDER GEFUNDEN?
Ann Cathrin: Nachdem ich die ersten Garne in der Hand hielt und auch schon über Handstrick-Fachgeschäfte verkaufte, wurde mir das Potential bewusst. Durch eigene Hochrechnungen kam ich auf die verfügbare Menge an Rohwolle, allein in Deutschland. Entsprechend klar war, dass Handstrickgarne nur der Anfang sind und, dass eine noch größere, skalierbare Verwendung für diesen Rohstoff gefunden werden muss. Franziska und ich kannten uns durch unser digitales Engagement für ethische und nachhaltige Textilien und Mode. Sie war als angehende Textilingenieurin eine fantastische Wahl. Unser gemeinsamer Weg hat dann so richtig mit dem EXIST-Gründungsstipendium begonnen, während dem das Spinnverfahren für die industriell anwendbaren Garne entwickelt wure.
Franzsika: Tatsächlich wurde ich in der nachhaltigen Modeszene häufig um Rat gefragt oder auch, ob ich nicht mit anderen ein Unternehmen gründen wollte. Als Ann Cathrin mir von dem Crowdsourcing-System der bestehenden Rohstoffe erzählte und dem Systemwandel, den wir damit anstoßen können, musste ich nicht lange überlegen. Ich verstand ihre Vision. Meine Motivation daraus ein funktionierendes Garn zu entwickeln, war sofort geweckt.
GEMEINSAM WOLLT IHR DIE MODEWELT NACHHALTIGER GESTALTEN. WAS MACHT DIE VERWENDUNG VON HUNDEFASERN SO NACHHALTIG?
Ann Cathrin: Hunde sind mit knapp 12,3 Mio. allein in Deutschland ein Teil unserer Gesellschaft. Hundefasern sind somit ein Nebenprodukt der Haustierhaltung. Wir greifen auf einen lokal verfügbaren Rohstoff zurück, der nicht extra für die Anwendung produziert werden muss. Im Gegensatz zur gewöhnlichen Tierfaserindustrie, muss bei unserem Produkt kein einziges Tier für die Garne in die Welt gesetzt werden. Damit das auch so bleibt, wird nie ein Mensch einen Gewinn im ersten Teil unserer Lieferkette machen. Wir haben dafür einen anerkannten gemeinnützigen Verein gegründet, der die Rohstoffe sammelt und verpflichtet ist, alle Gewinne gemeinnützig zu verwenden. Sozusagen ein gewollt eingebauter Schutzmechanismus für unsere geliebten Haustiere, die es auch bleiben sollen.
Franzsika: Hunde sind überall auf der Welt beliebte Haustiere. Das bedeutet, die Faser ist weltweit in großen Mengen verfügbar und könnte in regionalen Lieferketten verarbeiten werden. Das ist bei keiner mir bekannten anderen Faser so möglich. Allein in Deutschland fallen schätzungsweise jährlich 1.900 Tonnen Hundefasern an, die wir zu Chiengora® verspinnen können. Die Nutzung von Hundefasern hat keinen zusätzlichen ökologischen Einfluss, weil sie genutzt oder nicht, als Teil der Fellpflege, ausgekämmt werden müssen. Die Nutzung der Fasern spart sogar Klimagase ein, da sie normalerweise über den Hausmüll entsorgt und dort verbrannt würden.
WAS UNTERSCHEIDET EUER CHIENGORA® VON ANDEREN WOLLARTEN?
Ann-Cathrin: Das Schöne ist, unser Chiengora® ist in der Qualität rein faktisch hochwertig und daher vergleichbar mit anderen Edelgarnen wie Kaschmir, Angora oder Alpaka. Der Unterschied liegt in der Ressourceneffizienz und Emotion, die wir durch unsere Haustiere mit ins Garn verspinnen können. Unser Garn kann andere Edelfasern ersetzen und das Züchten von Millionen anderer Tiere, die qualvoll gehalten werden, minimieren. Das wäre doch ein erstrebenswerter Unterschied.
Franziska: Wir haben Chiengora® mit dem Ziel entwickelt, ein möglichst vielseitig einsetzbares Material zu schaffen, das in seiner Haptik unvergleichlich weich und leicht auf der Haut ist. Das Besondere ist, dass sie sehr leicht ist und durch die Faserstruktur unglaublich gut Wärme speichern kann.
AUCH DEN GEMEINNÜTZIGEN VEREIN ROHSTOFFE RETTEN – MODUS INTARSIA E.V. (I.G) HABT IHR INS LEBEN GERUFEN. KÖNNT IHR UNS DARÜBER ETWAS ERZÄHLEN?
Franziska: Der Verein sammelt die Wolle und verkauft sie an unsere GmbH. Die Gewinne aus dem Verkauf der Fasern an YarnSustain werden an Tierschutzprojekte gespendet oder in eigene Umweltbildungsprojekte investiert, um ein neues Bewusstsein im Umgang mit Ressourcen zu schaffen. Denn unser Vereinszweck ist vor allem die Bildung für Tier- und Umweltschutz.
WAS HAT SICH FÜR EUCH SEIT DHDL VERÄNDERT?
Ann Cathrin: Allein durch den Prozess der harten Due Diligence, währenddessen wir auch noch einen weiteren Investoren mit ins Boot geholt haben, sind wir Gründerinnen weiter gewachsen. Wir konnten durch Coaching, Besuche in Innsbruck und das Netzwerk des Investment-Portfolios profitieren. Wir sind inzwischen auf Augenhöhe mit anderen Industriepartnern. Das bei dem Thema aber auch im Auftreten und in der Warnehmung hinzubekommen, da hilft uns der Rat der Investor:innen sehr.
WAS SIND EURE WEITEREN PROJEKTE?
Ann Cathrin: Mit der Art, wie wir an unseren ethischen Rohstoff kommen, fallen wir aus allen Zertifizierungen raus, was sich als Herausforderung mit großen Marken herausstellt. Daher sind wir in Zusammenarbeit mit Expert:innen aus dem Bereich daran, einen neuen "Saving Lost Resources" Standard zu entwickeln, welcher darauf abzielt, Rohstoffe auszuzeichnen, die wieder zurück in den industriellen Kreislauf geführt werden.
Franzsika: Durch unser Crowdsourcing-Netzwerk sind wir in der Lage, unsere Lieferkette bis zum einzelnen Hund nachzuverfolgen. Das kann so bisher kein Player am Textilmarkt von sich behaupten. Darum arbeiten wir mit einem Partner daran, diese Lieferkette transparent für alle Stakeholder:innen darstellbar zu machen. Außerdem sind wir kontinuierlich dabei, neue Projekte zu entwickeln. So haben wir ein Vlies auf Basis von Hundeschur und Ausschuss aus der Produktion entwickelt, das jetzt als Daunenalternative in Steppprodukten angetestet wird.
Mehr Infos zu Chiengora®
Auf ihrer Website www.chiengora-official.com gibt es das Handstrickgarn sowie Beanies, Socken, Kissen u.v.m. zu entdecken. Und für alle Hundebesitzer: Hier könnt ihr das ausgebürstete Fell eurer Vierbeiner einschicken: www.rohstoffe-retten.de